Richard CB Johnsson

An Die Monopolisten Aller Parteien

(2005)

 


 

Anmerkung

Dieses Essay sagt klar und deutlich, dass es Gebiets - respektive monopolistische Gebietshoheit durch Staaten in der Vergangenheit nicht immer gegeben hat und auch keine unverzichtbare Bedingung für soziale Organi- sationen ist. Das sollte man sich immer vor Augen halten, wenn mit den Verwüstungen und Massenmorden, die von Führern dieser territorialen Staaten begangen wurden, konfrontiert wird. Das trifft besonders auf das 20. Jahrhundert zu, als nationale Staaten dominierten.

Quelle: Richard CB Johnsson, To the Monopolists of All Parties, 2005.

 


 

TERRITORIALE GEGEN NICHT TERRITORIALE VERWALTUNG

Das Leitmotiv hinter den heutigen weltweiten Verwaltungs- oder Regierungssystemen kann man als „ Territorium bezogene“ oder „ territoriale Verwaltung“ bezeichnen. Das bedeutet, dass die heutigen souveränen Territorialstaaten die absolute politische Hoheit in ihren jeweiligen Gebieten beanspruchen. Wo immer man sich heute auf der Welt befindet, muss man sich grundsätzlich den Gesetzen dieses Gebiets unterwerfen, unabhängig von ihren Inhalten und davon, ob man mit ihnen einverstanden ist oder nicht.

Wir könnten diesem jetzigen System das System der „Nicht territorialen Verwaltung“ gegenüberstellen. In diesem System beziehen sich die Gesetze nicht auf das Territorium, sondern die Personen. Auf diese Weise wird es für die Menschen möglich, sich im gleichen Gebiet verschiedenen Systemen von Gesetzen zu unterstellen. Es ist für ein Individuum auch möglich, das System zu wechseln, d. h. dass die Systeme sich gewissermassen konkurrenzieren, um die Bedürfnisse der Leute am besten zu befriedigen. Es kann auch sein eigenes System beginnen, wenn es dies für nötig hält.

Es scheint, dass die Leitprinzipien des Systems von nicht territorialer Verwaltung dermassen verschieden sind vom gegenwärtigen System der territorialen Verwaltung, dass man sie in der Tat nur als gegensätzlich bezeichnen kann, im Sinne, dass sie einander ausschliessen, da sie in ihrer Art total verschieden sind.

Wie ich bereits erwähnt habe, gab es eine Zeit in der territoriale Souveränität wie wir sie heute kennen, unbekannt war. Wie uns ein Berichterstatter aus vergangener Zeit mitteilt, „passierte es oft, dass 5 Personen, jeder einer anderen Rechtssprechung unterstehend zusammen miteinander unterwegs waren oder zusammen sassen“ (Shih Shun Liu, Extraterritoriality: Its Rise and Its Decline, New York. Columbia University Press, 1925). Sogar heute noch können wir die Überreste dieses System in der konsularischen Gerichtsbarkeit, bei Botschaften sowie bei Schiffen, die in ausländische Häfen einlaufen, die Flagge ihrer Wahl tragen und deren Gerichtsbarkeit anerkennen.

 

NICHT TERRITORIALE TOLERANZ IN VERGANGENEN ZEITEN

Es gibt Berichte von diesem System, nicht territorialer Administration aus dem alten Griechenland, Sparta, Ägypten und Rom. Zum Beispiel erfreuten sich die „perioeci“ (Angehörige griechischer Stadtstaaten) des Schutzes Spartas und hatten das Recht, ihre eigenen Gemeinwesen autonom zu verwalten. In Griechenland gab es spezielle Friedensrichter „xenodikai“, die Fälle in die sogenannte „ Non - Citizens“ (Ausländer) verwickelt waren, behandelten. In der römischen Republik als auch im frühen Imperium gab es eine ähnliche Institution, den „praetor peregrinus“. (etwa Fremdenstatthalter). Diese „peregrine“ waren nicht Ausländer im heutigen Sinne, sie waren freie Einwohner und Untertanen von Rom, aber weder Bürger noch Latiner. Also gab es Gemeinschaften, die das Recht hatten, ihre eigenen Gemeinwesen zu verwalten und gemäss ihren eigenen Gesetzen zu leben und das im gleichen Territorium. Deren Beispiele sind zahlreich. Ein wesentlicher Bestandteil des moslemischen Rechts (Sharia) aus dem Koran [1] stammend, ist das sogenannte „dhimma“ System (Rechtsbestimmungen für Schutzbefohlene nicht muslimischen Glaubens) oder später im osmanischen Reich das „millet“ System. (Muslimische Gemeinschaften, die als „Nation“ anerkannt wurden und die eine gewisse Autonomie in Sachen Zivil- und Familienrecht erhielt). Es gibt auch Beweise für nicht territoriales Recht für Muslime im China des neunzehnten Jahrhunderts.

In Rom wurde das System von nicht territorialer Administration abgeschafft, als das Bürgerrecht für alle Einwohner römischer Gebiete eingeführt wurde. Nach dem Fall von Rom jedoch blühte das System wieder auf. Es war zu dieser Zeit, dass Bischof Agobard (779-840) uns über die Geschichte der fünf Personen, die friedlich zusammen sassen, obwohl jeder von ihnen einer anderen Rechtssprechung unterstand, berichtete.

Römer, Lombarden, Goten, Franken, Burgunder, Alemannen etc. lebten Jahrhunderte unter ihren eigenen Gesetzen, egal in welchem Territorium sie jeweils lebten. Die Menschen konnten - und taten es auch - ihre Loyalität zu Gesetzen wechseln. Diese Praxis wird oft „ Persönlichkeitsrecht“ benannt. Dieses System existierte auch in den grossen mediterranen Handelsstädten wie Pisa, Venedig und Genua, diese Orte werden oft als die Wiege unserer modernen, wirtschaftlich entwickelten Welt betrachtet.

 

DIE TOLERANZ DER BARBAREN

Edward Gibbon schreibt in seinem Band „ Der Aufstieg und Fall des Römischen Reiches“ in Bezug auf die „Gesetze der Barbaren“ des fünften und sechsten Jahrhunderts folgendes:

Die Gesetze der Barbaren waren ihren Bedürfnissen und Wünschen, ihren Tätigkeiten und ihren Fähigkeiten angepasst. Alle trugen dazu bei, den Frieden zu erhalten und Verbesserungen für die Gemeinschaft zu fördern, für deren Gebrauch sie ursprünglich aufgestellt worden waren. Die Merowinger erlaubten allen Einwohnern und allen Familien ihres Reiches, ihre häuslichen Einrichtungen zu geniessen, anstatt ihnen einheitliche Verhaltensregeln aufzuzwingen. Auch die verbleibenden Römer waren von den Vorteilen dieser toleranten Handhabung der Gesetze nicht ausgeschlossen.

In einer Fussnote dieses Abschnitts streitet sich Gibbon mit unserem Freund Bischof Agobard indem er ihm vorwirft, dass er „dummerweise sowohl eine Einheitlichkeit des Gesetzes als auch des Glaubens einzuführen vorschlägt“.

Tatsächlich erscheint es wirklich töricht, eine Einheitlichkeit des Gesetzes als auch eine Einheitlichkeit des Glaubens vorzuschlagen. Denn wieso soll Toleranz in einem Bereich des Lebens gut sein und in einem anderen nicht? Warum gerade bei religiöser Toleranz anhalten? So wie religiöse Toleranz eine Einheitlichkeit des Glaubens von sich weisst, lehnte die mittelalterliche Form von nicht territorialer Administration die Einheitlichkeit der Gesetze ab und damit auch die Einheitlichkeit des Glaubens. Nach alldem erkläre man bitte, warum Toleranz nur in einem Bereich des Lebens gut sein kann und nicht in anderen. Nicht territoriale Administrationen hören nicht bei religiöser Toleranz auf, sondern dehnen sie auf alle Bereiche des Lebens aus. Während dies ein tolerantes Kennzeichen der sogenannten Barbaren Gesetze war, scheint es ein fehlendes Kennzeichen der heutigen territorialen, monopolistischen Staaten zu sein.

 

LÖSUNG VON KONFLIKTEN

Eine Frage, die im Zusammenhang mit nicht territorialen Systemen sofort auftaucht, ist, wie man Streitfälle zwischen Parteien verschiedener Rechtsprechung behandeln soll. Es erwies sich, dass Streitfälle gemäss dem Prinzip „actor sequitur forum rei“, behandelt wurden, das heisst, dass gemäss der Rechtssprechung des Angeklagten und nicht gemäss der Rechtssprechung des Anklägers gerichtet wird.

Dieses Prinzip hat unter einer territorialen Administration von heute eine andere Bedeutung angenommen als unter nicht territorialen Administrationen. Heute wird das zuständige Gericht gemäss dem geltenden Recht des Territoriums, in welchem der Streitfall stattfindet, bestimmt. Das bedeutet, dass der Kläger gegen den Beschuldigten Klage in dem Staat erheben muss, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz, seine übliche Residenz oder seinen hauptsächlichen Geschäftssitz hat. Dadurch und in Übereinstimmung mit territorialer Souveränität ist daraus ein territoriales Prinzip geworden. Unter nicht territorialer Administration hingegen und wahrscheinlich gemäss der ursprünglichen Bedeutung muss der Ankläger der Rechtssprechung des Beschuldigten folgen, das heisst der Beschuldigte wird nach den Gesetzen, die für ihn gelten, gerichtet.

Dies scheint sowohl eine natürliche als auch eine tolerante Lösung von Konflikten zu sein. Stellen Sie sich einmal das Gegenteil vor und sofort wird klar - es würde bedeuten, dass andere Personen deiner Art zu leben folgen müssten, ein nicht sehr tolerantes Verlangen und den „Persönlichkeitsrechten“ widersprechend. Für wirklich schwere Straftaten wie Mord wäre wohl die Rechtssprechung des Getöteten und nicht die des Mörders das geeignete Forum. Was es genau ausmacht, dass ein Verbrechen als schwer genug eingestuft wird, das Prinzip des „ actor sequitur forum rei“ aufzuheben, darüber könnte man sich einigen oder es im voraus festlegen oder es andernfalls einem Schiedsgericht überlassen. (Das ist auch der Grund, warum die alten Gesetze so präzis und konkret waren in Bezug auf Straftaten und Strafen.) Ein anderer Weg zur Lösung war der Einsatz von gemischten Gerichten, das heisst Gerichten, die in Lage waren, Uneinigkeiten zwischen verschiedenen Gesetzgebundene zu handhaben.

 

WARUM GAB ES SOLCHE RECHTE?

Nun, wenn man darüber nachdenkt, sind die Ursprünge von nicht territorialer Administration vielleicht gar nicht so merkwürdig. Die meiste Zeit unserer Geschichte lebten die Menschen als Nomaden in Jagdgemeinschaften oder in weit verstreuten Gemeinden kleiner Bevölkerungszahl, zwischen denen keine festgelegten Grenzen geltend gemacht wurden oder gezogen wurden. In solchen Gemeinschaften entwickelten die Bewohner ihre eigenen moralischen Normen und Gesetze (wahrscheinlich nicht schriftlich, sondern mündlich weitergereicht). Es war also ganz natürlich, dass sich die Gesetze auf die Menschen bezogen und nicht auf das Territorium. Wenn Begegnungen mit Menschen aus anderen sogenannten nicht territorialen Gemeinden stattfanden, so war es nur natürlich anzunehmen, dass diese nach anderen moralischen Normen und Gesetzen lebten. Um Konflikte zu vermeiden, war es das Beste nicht zu versuchen, den anderen seine eigenen moralischen Normen und Gesetze aufzuzwingen. Um zu verhindern, dass andere dies versuchten, war es das Beste, selber darauf zu verzichten. Falls dennoch ein Konflikt ausbrechen würde, wäre es das Beste, den Angeklagten nach seinen Gesetzen richten zu lassen, um eine Ausweitung des Konflikts zu vermeiden. Folglich war die Frage der Herkunft eines Fremden verknüpft mit seinen Gesetzen und Bräuchen und nicht mit seinem Geburtsort oder seiner Ethnie. Nicht territoriale Administration bietet sich also als tolerante und friedliche Lösung an.

Es gibt eine Fülle von schriftlichen Dokumenten nicht territorialer Administration in Afrika, Europa und Asien. Wahrscheinlich ist dieses System so alt wie die Menschheit und hat überall existiert. Eine Sache ist klar: Solche weltweiten nicht territorialen Rechte haben ihren Ursprung nicht im späten europäischen Imperialismus oder aufgrund ungenügender ausländischer Rechtssysteme, wie oft geglaubt wird. Diese waren spätere Zutaten, aufgezwungen von bereits bestehenden souveränen Territorialstaaten, oft europäischen, in einer sehr imperialistischen Art.

 

DER AUFSTIEG TERRITORIALER INTOLERANZ

Wann, wie und warum tauchten diese souveränen Territorialstaaten auf? Es scheint, dass das Jahr 1648 eine wichtige Rolle spielt. Es ist das Jahr, indem der Dreissigjährige Krieg durch den Westfälischen Frieden beendet wird. In diesen Verträgen wird die Theorie der „Persönlichkeitsrechte“ als fundamentales Prinzip der internationalen Beziehungen durch die Idee von der exklusiven territorialen Souveränität ersetzt. Jedenfalls hatte die Jagd nach kolonialen Besitztümern und Territorien bereits eingesetzt. Folglich war Gebietshoheit nicht eine Folge der Friedensverträge, sondern es scheint, dass die Idee der Gebietshoheit ein wesentlicher Grund für den Beginn des Dreissigjährigen Krieges war. Wie wurde die nicht territoriale Administration in der Praxis durch souveräne Territorialstaaten ersetzt? Dafür gab es sechs hauptsächliche Möglichkeiten:

(1) Indem man unter die Souveränität von Staaten gerät, die keine Ausnahmen für lokale Gerichtsbarkeit anerkennt oder zugesteht.

(2) Indem man zeitweise unter die Gerichtsbarkeit eines solchen Staates gerät.

(3) Indem man sich von einem Staat, in welchem ein extraterritoriales System besteht, loslöst.

(4) Indem man ein Protektorat eines Staates wird, der keine Rechte von extra Territorialität zugesteht.

(5) Durch einseitige Kündigung der extra territorialen Rechte.

(6) Durch diplomatische Verhandlungen, die zu einem beidseitigen Einverständnis zur Abschaffung dieser Rechte oder zur Vorbereitung der Abschaffung führen.

Die technischen Details der Fälle, in denen die Extra-Territorialität abgeschafft wurde, sind sehr interessant, aber was wirklich interessant ist, sind die Gründe, die man vorbrachte, warum territoriale Souveränität vorgezogen wurde. Das macht die letzten beiden Kategorien besonders interessant, da sie Aussagen enthalten, die den Systemwechsel verteidigen. Zum Beispiel gibt es den Vertrag zwischen der Türkei und der russischen Soviet Regierung von 1921, der die nicht territorialen Rechte in der Türkei beendet.

„Die Regierung der R.S.F.S.R. betrachtet das Kapitulationsregime (das heisst die nicht territorialen Rechte) als unvereinbar mit der freien nationalen Entwicklung und Souveränität eines jeden Landes und betrachtet alle Rechte und Handlungen in Zusammenhang mit diesem Regime als annulliert und abgeschafft.“ (Liu 1925 S. 185 zitiert aus dem Soviet Russland/Türkei Vertrag). [2].

Es scheint in der Tat so, dass nicht territoriale Administration unvereinbar ist mit „freier nationaler Entwicklung und territorialer Staatssouveränität“. Wir alle kennen das Ergebnis „freier nationaler Entwicklung“ in Lenins Russland und der damaligen Türkei. Ein anderes Beispiel betrifft Persien und die Soviet Regierung:

„Die R.S.F.S.R. bestätigt noch einmal formell, dass sie definitiv auf die tyrannische Politik, die von den kolonisatorischen Regierungen Russlands betrieben wurde, verzichtet. Diese Regierungen wurden vom Willen der Arbeiter und Bauern gestürzt. Inspiriert von diesem Prinzip und vom Wunsch, dass das persische Volk glücklich und unabhängig sein soll und frei über sein Erbe verfügen soll, erklärt die russische Republik alle Verträge und Konventionen, die zwischen Persien und dem zaristischen Regime abgeschlossen wurden, für null und nichtig, denn diese Verträge unterdrückten die Rechte des persischen Volkes.“ (Liu 1925 S. 198 zitiert aus dem Soviet Russland/Persien Vertrag) [2].

Das Zitat macht nur Sinn, wenn man das Wort „ Volk oder Leute“ ersetzt durch das Wort „die Leute an der Macht“ , d. h. jene, die den territorial souveränen Staat führen. Staatsmacht schien die Parole des Tages zu sein. Ist das wirklich so verschieden von heute?

Es wurde oft gesagt, dass nicht territoriale Rechte zu „ Regierungen innerhalb der Regierung“ führen (oder Staaten innerhalb von Staaten ein bekannterer Ausdruck), während in Wahrheit verschiedene Arten von Regierungen im gleichen Gebiet friedlich miteinander koexistieren. Das ist in der Tat für eine Regierung, die eine territoriale souveräne Monopolstellung anstrebt, ein Problem. Wettbewerb missfällt ihr und sie versucht offensichtlich, ihn abzuschaffen, vielleicht indem sie sich selbst als eine Art „Mutterregierung“ darstellt mit vielen unzivilisierten Kindern, die wild herumtoben, eine Vorstellung, die weder sehr überzeugend noch sehr wahr ist.

 

TERRITORIALISMUS, HAUPTGRUND FÜR KRIEGE UND GENOZIDE

Die Regierungen von territorial souveränen Staaten haben zwei schreckliche Angewohnheiten. Erstens neigen sie dazu, Streit mit anderen territorialen Monopolisten anzuzetteln.

Nun ist das Anzetteln von Streit beileibe nicht nur ein besonderes Merkmal von territorialen Monopolisten. Was jedoch die Streitigkeiten zwischen souveränen Territorialstaaten so schrecklich macht, ist, dass sie es sehr leicht schaffen, die Menschen glauben zu lassen, dass die Leute auf der anderen Seite der Grenze wirklich verschieden sind von denen auf dieser Seite der Grenze. Das juristische Monopol, Gewalt anzuwenden macht es leicht, Non-Konformisten, Dissidenten und Oppositionelle zu unterdrücken und schafft einen falschen Eindruck von Einheit. Dies verhindert jegliche Unterscheidung zwischen wirklichen Bösewichtern und alltäglichen Leuten. Es lässt den totalen Krieg zu und verwickelt ganze Bevölkerungen darin. Es liefert Motive, Ziele, Finanzen, Wehrpflicht und Übeltäter gemäss dem Prinzip der „kollektiven Verantwortung“. Und von all jenen, die besteuert zum Wehrdienst einberufen werden oder in anderer Weise von einer Regierung schikaniert werden, wird angenommen, dass sie ihre Anhänger sind.

Folglich kann man sagen, dass territoriale Ansprüche, die eine hauptsächliche Quelle für Krieg ist, besonders für Kriege grossen Ausmasses. Denken Sie nur an die Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg mit 700.000 Gefallenen, meistens junge Wehrpflichtige und das in einem Gebiet von nicht einmal zehn Quadratkilometern. Denken Sie an das willkürliche Töten von Hunderttausenden von unschuldigen Zivilisten in Hiroshima, Nagasaki oder Dresden oder anderswo, die man einfach „Kollateralschaden“ nennt. „Alle Deutschen sind schlecht und müssen bombardiert werden, alle Japaner sind schlecht und müssen bombardiert werden“. Wer sind die wahren Barbaren, die solche Taten begehen?

Darüber hinaus haben souveräne monopolistischen Regierungen die schreckliche Gewohnheit, Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung oder ausgewählte Teile von ihr zu führen. Das legale Gewaltmonopol macht es einfach, Menschen ohne grossen Widerstand zu verfolgen. Von souveränen Territorialstaaten wie Soviet Russland, Nazi Deutschland, China, Kambodscha etc. begangene Völkermorde können schreckliche Ausmasse annehmen, 170 Millionen Opfer allein im zwanzigsten Jahrhundert. Diese Regierungen konnten ihre Missetaten hauptsächlich deshalb begehen, weil sie keiner starken internen Opposition begegneten.

Die grossen Konflikte und Massenmorde unserer Epoche haben ihre Ursache hauptsächlich in der Existenz souveräner territorialer Regierungen. Wir sollten uns aber nicht dazu verleiten lassen, dass nicht territoriale Herrschaft all diese Missbräuche beseitigen würde, alles kann missbraucht werden und diese „guten alten Zeiten“ von nicht territorialer Verwaltung waren vielleicht auch nicht allzu gut. Nicht territoriale Verwaltung kann sowohl auf tolerante als auch auf nicht tolerante Art gehandhabt werden, das ist geschichtlich belegt. Es ist ebenso belegt, dass frühere und in gewissen Belangen tolerantere nicht territoriale Herrschaft in intolerantere, autoritäre territoriale Herrschaft umgewandelt wurden. Trotzdem, indem man jeglichen Anspruch auf territoriale Souveränität ausschaltet oder jeden Ansatz zu solchen Ansprüchen bändigt, scheint die Gefahr, dass grössere Konflikte und Massenmorde wieder passieren, weniger wahrscheinlich zu sein. Gleichzeitig wäre es ein Ansporn hin zu grösserer Toleranz.

 

QUA LEGE VIVIS?

Folglich gibt es eine neue Botschaft an die Monopolisten aller Parteien: Es ist an der Zeit, die Indoktrination der monopolistischen Regierungen abzulehnen und von unserer Vergangenheit zu lernen. Die Territorialisten, idealistisch, naiv und intolerant haben ihre Zeit gehabt - sie waren die wahren Utopisten. Es ist an der Zeit, die wahren Urheber aller Monopole, ihrer Kriege, Massenmorde und politischer Intoleranz auszumustern. Es ist an der Zeit, sich wieder der nicht territorialen Toleranz zuzuwenden.

Vielleicht gibt es eines Tages wieder ein Herrschaftssystem, in dem alle und jeder die volle politische Freiheit haben, die gewünschte Regierung frei zu wählen und zu bekommen mit der wirtschaftlichen Freiheit, die sie wünschen. Dies ist nicht naiv oder utopisch, sondern sehr tolerant, human und zivilisiert. Vielleicht ist es eines Tages wieder ganz natürlich, dass „fünf Menschen, von denen jeder unter einem anderen Gesetz lebt, zusammen sitzen oder gehen“. Vielleicht ist es eines Tages wieder ganz natürlich beim Zusammentreffen mit einem Fremden zu fragen „Qua lege vivis?“ Unter welchem Gesetz lebst du?

 


 

Bemerkungen

[1] Aus dem Koran, Sure cix: O ihr Ungläubigen// ich verehre nicht was ihr verehrt// und ihr seid nicht Verehrer von dem was ich verehre//und ich bin kein Verehrer von dem was ihr verehrt habt//und ihr seid nicht Verehrer von dem was ich verehre//Für Euch eure Religion und für mich meine Religion.

[2] Shih Shun Liu ( 1925 ) Extraterritoriality: Its rise and its Decline, New York, Columbia University Press, 1925, S.235.

 


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