John Zube

Der Weg zur Freiwilligkeit

(1986)

 



Anmerkung

Das theoretische und praktische Merkmal, das die Panarchie am besten kennzeichnet, ist die Freiwilligkeit. Durch Freiwilligkeit sind die Chancen, Frieden und Freiheit zu schaffen (durch den Einzelnen und durch Gruppen), höher als durch irgendeine andere persönliche und gesellschaftliche Regelung. Dies ist so, weil der Kampf gegen unsere eigenen freiwilligen Entscheidungen etwas ist, das nicht Teil der menschlichen Erfahrung ist (es sei denn, es sind ernsthafte pathologische Faktoren im Spiel).

In diesen drei kurzen Schriften hebt John Zube die Zusammenhänge zwischen Panarchie, Frieden und Freiheit hervor und betont noch einmal, dass die Überwindung des Territorialismus und die Umsetzung von Freiwilligkeit die wesentlichen Voraussetzungen für ihre Verwirklichung sind.

 


 

Durch Panarchismus zum Frieden und zur Freiheit

Panarchie ist nichts anderes als die konsequente Anwendung eines grundsätzlichen anarchistischen Prinzips, das schon oft in verschiedenen Worten seinen Ausdruck fand.

So sagte bereits Errico Malatesta (aus: Ein anarchistisches Programm, 2, Kap., Wege und Mittel):

„Deshalb Freiheit für jeden, damit alle ihre Ideen verbreiten und mit ihnen experimentieren können. Freiheit ohne irgendeine andere Beschränkung als die, die sich ganz natürlich aus dem gleichen Recht eines jeden Anderen ergibt.”

Unglücklicherweise können solche allgemeinen Prinzipien, die oft sogar in den Menschenrechtserklärungen von Regierungen enthalten sind, sehr unterschiedlich interpretiert werden und wurden auch von Anarchisten, Libertären und Etatisten sehr unterschiedlich verstanden.

Panarchisten behaupten, dass sie die Einzigen sind, die dieser Idee eine konsequente, anarchistische, voluntaristische und individualistische Bedeutung gegeben haben.

Die beste Analogie ist wahrscheinlich die der religiösen Toleranz im Gegensatz zur religiösen Hierarchie. Im Zustand religiöser Freiheit kann jeder Mensch frei seine religiösen Grundsätze beibehalten und praktizieren und das Seite an Seite mit Freidenkern, Rationalisten, Agnostikern, Atheisten und Humanisten, die alle ihr eigenes Ding machen.

Sie mögen immer noch miteinander diskutieren, aber nur mit Worten, während sie friedlich miteinander koexistieren und einander in Ruhe lassen oder nur versuchen Individuen für ihre Sache zu gewinnen.

Das panarchistische Gegenstück zur religiösen Freiheit in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sphären führt zur Einrichtung eines Staates für Etatisten und zur Anarchie für Anarchisten; jede Form von Etatismus für alle, die an den Staat glauben (solange sie das aushalten können) und jede Art von nicht-staatlicher Organisation für alle, die den Staat nicht wollen.

Wie K. H. Z. Solneman es ausdrückte:

„Jedem die Regierung seiner Träume."

Dem ich hinzufüge: „oder die Nichtregierung seiner Träume."

Es kann vermutet werden, dass in diesem Fall die verschiedenen Gruppen kaum Gründe und Motive haben würden, um gegen die Handlungen anderer anzugehen, die ja nur ihre Sachen tun, für sich selbst und auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko hin - weil dadurch die eigenen Handlungen am geringsten eingeschränkt werden würden, wenn überhaupt.

Eine solche Veränderung hätte natürlich Folgen für die gegenwärtigen Parteikämpfe, Widerstands- und Terrorversuche, Bürgerkriege und internationalen Kriege. All dies setzt eine einheitliche territoriale Regel für alle voraus, die fast keine Ausnahme in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sphären zulässt.

Wir erfreuen uns des Panarchismus bereits in vielen anderen, wichtigen Lebensbereichen (unbewusst ihrer panarchistischen Implikationen), nämlich z.B. im Sport, bei Moden, Diäten, in der Unterhaltung, in der Kunst, im Handwerk, der Wahl von Arbeitsplatz oder Beruf, der Auswahl unserer Lektüre, des Studiums und der Unterrichtstätigkeiten, der privaten Lebensstile, der privaten Fortbewegungsmöglichkeiten, bei alternativer medizinischer Versorgung und bei Fitnessmöglichkeiten, bei organisatorischen Formen privater und kooperativer Unternehmen, bei einer großen Vielfalt von freiwilligen Vereinigungen für eine Vielzahl von Zwecken, in freundschaftlichen Kreisen, in sexuellen Beziehungen (sogar lockere Ehe- und Scheidungsverträge sind panarchistisch), in der Religion und bei naturwissenschaftlichen Experimenten.

Doch aufgrund einer Reihe von populären Mythen, Vorurteilen und Irrtümern haben wir bisher die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereiche von dieser Art von Handlungsfreiheit, Wettbewerb oder experimenteller Freiheit ausgenommen.

Panarchisten sind nichts anderes als konsequente Anarchisten, die diese Freiheit auch in diesen drei wichtigen Bereichen verwirklichen wollen, die bisher von den territorialen Regierungen monopolisiert wurden.

Sie erwarten, dass sie durch diese Ausweitung der Freiheit (die auch die Freiheit beinhaltet, nicht frei zu sein, ganz nach individueller Entscheidung) zumindest die gleichen Vorteile erzielen (ganz abgesehen von der ethischen Rechtfertigung), die aus der Freiheit des Handelns in den oben erwähnten Sphären abgeleitet werden können, wo die Vielfalt der Handlungen schon als die Norm gilt und akzeptiert ist, wo jeder sein eigenes Ding macht, es anderen nicht aufzwingt und diese Art von gegenseitiger Toleranz für selbstverständlich hält.

Panarchismus bedeutet nicht mehr als die Ausweitung der Freiheit zum Experimentieren, der Freiheit zu handeln, in allen Lebensbereichen - solange die gleichen Freiheiten der anderen, mit ihren verschiedenen Entscheidungen, vollständig respektiert werden.

Darüber hinaus sind Panarchisten realistisch genug, um zu erkennen, dass bloße Worte, egal wie geschickt kombiniert und ausgeklügelt sie sind, keine überzeugende Macht über die meisten anderen Menschen haben. Sie haben diese Macht nicht in den letzten hundert Jahren gehabt und es ist unwahrscheinlich, dass sie diese in den nächsten hundert Jahren gewinnen werden, nämlich die Macht, alle Menschen zu überzeugen, sich einer ganz bestimmten Form des Anarchismus zu verschreiben.

Panarchismus ist eine Art kompromissloser Kompromiss. Jeder geht seinen eigenen Weg in seinen eigenen Angelegenheiten - aber sein Ideal muss nicht von anderen gelebt werden - es sei denn, andere würden es ganz individuell für sich akzeptieren.

Die Freiheit, seinen eigenen bevorzugten Lebensstil in jeder Hinsicht leben zu können, unter gleichgesinnten Menschen, ganz unabhängig von den Vorlieben anderer, die sie unter sich selbst verwirklichen, wäre auch für Anarchisten bereits eine große Errungenschaft.

Darüber hinaus haben Anarchisten in einer solchen neuen sozialen Situation nicht nur die verbale und erzieherische Freiheit, mehr Anhänger zu gewinnen, und eine wenn noch so kleine Chance, eines Tages alle Menschen zu überzeugen, den Anarchismus für sich selbst zu akzeptieren; vielmehr sind sie dann ganz frei, ihren Nachbarn und allen anderen Beobachtern ihre Art von Anarchismus zu demonstrieren und zu zeigen, welche Vorteile sich daraus ableiten lassen.

Über ihre Erfolge ebenso wie über ihre Misserfolge würde wahrscheinlich überall berichtet werden.

Taten sagen mehr als Worte. Entwicklungen in fernen Ländern, anderen Kulturen, anderen Sprachgebieten usw. entfalten nicht die gleichen überzeugenden Kräfte, trotz der modernen Massenmedien, um alternative Formen des Lebens, Arbeitens, des Genusses und der Regierung, so interessant und überzeugend wirken zu lasssen wie solche, die in unmittelbarer Nachbarschaft gemacht werden.

Sogar wenn solche Maßnahmen verpönt sind oder verachtet werden, haben andere in solchen Situationen nichts von ihnen zu befürchten, da sie ihnen nicht aufgezwungen werden.

Es steht ihnen frei, alle Praktiken abzulehnen, die sie nicht mögen, und diese Praktiken nur als abschreckende Beispiele oder zu ihrem eigenen Vergnügen zu nutzen.

 


 

Auf dem panarchistischen Weg zu Frieden und Freiheit

Kann die Mitgliedschaft in irgendeiner Form von anarchistischer Gemeinschaft, Kollektiv, Gesellschaft oder Genossenschaft jemals verpflichtend gemacht werden?

Ist Nicht-Anarchisten nur die Wahl gegeben: Tod oder Übernahme des Anarchismus für sich selbst?

Sind Anarchisten bereit, staatliche Maßnahmen unter Staatsbürgern zu tolerieren, genauso wie sie wollen, dass ihre anarchistischen Aktivitäten von den gegenwärtigen Staaten toleriert werden?

Sind Anarchisten in ausreichender Weise zur freien, individuellen Entscheidung bereit und anderen Menschen zu erlauben, ganz andere Entscheidungen für sich selbst zu treffen, als dies Anarchisten für ihre eigenen Gruppen tun würden?

Oder wollen die meisten Anarchisten, so wie die meisten Staatsanhänger und Autoritären, Zentralisten, Universalisten, Territorialisten usw., nur eine Art von vermeintlich idealer Gesellschaft in einem Land zu einem Zeitpunkt existieren lassen?

Sollten wir also zwischen freiwilligen Anarchisten und autoritären Anarchisten unterscheiden?

Wenn man wirklich an irgendeine Art von System glaubt, dann ist man immer geneigt sich vorzustellen, dass alle anderen diesen Glauben teilen könnten oder sollten und dass sie es eines Tages tun werden.

Aber sollte man bereit sein, so lange zu warten, wie es nötig wäre, alle zu überzeugen?

Sollte man deshalb die Verwirklichung der Anarchie so lange verschieben, bis alle Anarchisten geworden sind - wenn dies überhaupt jemals der Fall wäre?

Oder sollte man eher auf unterschiedliche Einrichtungen für alle setzen, die diese wünschen, auf die Autonomie von Minderheiten, auf eigene Faust und auf eigene Gefahr und Kosten, während alle anderen frei sind, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, egal wie furchtbar man diese selbst finden mag?

Wenn die Mitgliedschaft in anarchistischen Gemeinschaften und Gesellschaften nicht verpflichtend sein soll, was ist dann mit den begrenzten Freiheiten und Rechten, die die anderen für sich selbst wünschen?

Sind sie frei, sie nach ihren eigenen Entscheidungen zu organisieren und zu begrenzen, ganz ungestört von Anarchisten, die frei sind, ihr eigenes Leben zu führen? Wenn ja, dann lasst uns das jetzt ganz klar sagen:

In erster Linie und als Realisten und Befürworter der Rechte und Freiheiten von anderen, wollen wir nur Anarchismus für Anarchisten und EBENSO Staatlichkeit für Anhänger des Staates, gemäß ihren eigenen freien und individuellen Entscheidungen.

Organisatorisch würde dies natürlich einige Veränderungen, Vorbereitungen und Vorsichtsmaßnahmen erfordern.

Die einzigen ganz grundlegenden wären die freiwillige Mitgliedschaft, gründend auf der individuellen Sezession, und die nicht-territoriale Organisation, mit Verträgen oder persönlichen Gesetzen eigener Wahl.

Mit anderen Worten:

Minderheits- und Mehrheitsautonomie für alle, die es wünschen, basierend auf der individuellen Souveränität, geteilt und kombiniert so wie jeder Einzelne es will.

 


 

Wie könnten anarchistische Gemeinschaften neben staatlichen Gemeinschaften koexistieren, sodass jeder einzelne frei zwischen ihnen wählen kann?

Für den Übergang müsste man offensichtlich auf zentralistische, nationale, verpflichtende, einheitliche, territoriale und majoritäre „Lösungen“ verzichten.

Die verbleibenden Optionen sind:

Freiwillige Mitgliedschaft für alle, basierend auf der individuellen Sezession und der individuellen Assoziation und

nicht-territoriale Organisation nach persönlichen Gesetzen oder privaten und kooperativen Vereinbarungen und Verträgen.

Freiwilligkeit und nicht-territoriale Organisation müssen kombiniert werden, um diese Alternative praktikabel zu machen.

Wenn Alternativen nur auf territorialer Basis erlaubt sind, dann sind nur exklusive Nationalstaaten in kleineren Maßstäben möglich oder verschiedene Ghettos, Reservate, Konzentrationslager und Deportationssysteme, um die gewünschte „territoriale Integrität“ und Uniformität zu erreichen, die nichts mit individueller Freiheit zu tun haben.

Da es nichts Neues unter der Sonne gibt, sollte man erwarten, dass irgendwann und irgendwo unter einigen Menschen, eine Alternative hierzu in gewissem Umfang und für eine gewisse Dauer bereits praktiziert worden ist.

Wenn man sich nicht nur auf nationalistische, zentralistische und staatliche Historiker allein stützt, so kann man in der Tat eine ganze Reihe von historischen Präzedenzfällen und sogar zeitgenössische Praktiken für die „panarchistische“ Alternative finden, für so viele verschiedene „Regierungen“ oder freie Gesellschaften wie es ihre Anhänger, Nachfrager oder Betroffenen wünschen, oder, wenn man so will, für die Verbrauchersouveränität auch im Hinblick auf Dienstleistungen (oder Bärendienste) einer Regierung.

Der Panarchismus versucht, alle historischen Präzedenzfälle und zukünftigen Möglichkeiten dieser Art und überhaupt alle bisherigen Theorien zu betrachten und weiter zu entwickeln, um eine politische, ökonomische und soziale Philosophie der Freiheit zu schaffen, die die kreativen Energien eines jeden freisetzen kann, in seinen eigenen selbstgewählten Kreisen, während sie neue Möglichkeiten ermöglicht oder schafft, um allen Privilegien, Monopolen, Zwängen, Auflagen und Aggressionen zu widerstehen.

Panarchisten träumen nicht nur davon, dass vollständig gewaltlose Menschen frei sein sollten, um ihre verschiedenen Angelegenheiten zu regeln, sondern dass alle Menschen frei sein sollten, Aggressoren zu widerstehen und ihre Lebensweise in vielfältiger, kraftvoller und rechtmäßiger Weise zu schützen und dabei auf unterschiedlichste Weise zusammen zu arbeiten.

Freiheit hat viel mehr und bessere Antworten zu bieten als der Staatskult.

Für die absehbare Zukunft können wir nicht erwarten, dass alle Menschen sich auf ein einziges, angeblich ideales Schutz-, Widerstands- und Strafverfahren einigen.

So wird es in einer panarchistisch organisierten Gesellschaft eine Vielzahl von Schutzsystemen, Polizei- und Zuständigkeitsoptionen geben, darunter natürlich Selbstverteidigungsanstrengungen und Nachbarschaftsschutz und alle Arten von freiwilliger Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit oder gängige und freiheitliche Rechtssysteme, alles im voraus vereinbart.

Die verschiedenen autonomen und nicht-territorialen Gruppen würden untereinander „internationale“ Verträge über alle Vergehen, über die nicht-territorialen „Grenzen“ hinweg, schließen.

 


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